Kirschbaum ist tot. Warum dieser Frevel an der Natur?
Die Millionenerbin reist an, um beim Erblasser nach dem Rechten zu sehen. Bei der Gelegenheit fällt ihr Blick wohl eher zufällig auf den alten Kirschbaum, der seit geschätzt 30 Jahren auf ihrer Wildblumenwiese steht. Seit fast 20 Jahren dokumentiere ich den Kirschbaum auf der benachbarten Wiese nicht nur fotografisch. Ich beobachte meinen Freund, den Baum, und freue mich zu jeder Jahreszeit über ihn. Er strahlt Ruhe aus und Kraft und seine Aufgaben übernahm er stets vorbildlich. Er blühte jedes Jahr, verschenkte zentnerweise seine süßen Kirschen, produzierte Sauerstoff satt für alle und bot ungezählten Vögeln und Insekten ein sicheres Zuhause, Nahrung und Schutz. Mehr kann niemand von einem Baum erwarten. Oder etwa doch?
Die Millionenerbin holzt ab, was ihr keinen finanziellen Nutzen bringt.
Die Millionenerbin behauptet im Brustton der Überzeugung, der Baum hätte für sie keinen Wert mehr gehabt, deswegen musste er weg. Zudem hätten Leute angeblich dort Gartenabfälle entsorgt und das hätte sie nicht haben wollen. Davon habe ich allerdings in all den Jahren nie etwas gesehen. Ganz im Gegenteil: Alle Nachbarn ringsherum freuten sich alle über den Anblick des einzeln stehen Kirschbaums. Im Sommer ging auch nie jemand hin, weil die Wiese rundherum hoch steht und niemand riskieren will, versehentlich auf Nester von Bodenbrütern zu treten. Selbst Gassigeher halten Abstand – zwar nur bis zur ersten Mahd, aber immerhin.
Wer einen gesunden Baum ohne Not abholzt, hat Natur nicht verstanden
Was mich so ärgert ist das Unwissen und die schiere Unvernunft, mit der die Nachbarin und Millionenerbin Baum um Baum abholzt. Es ist ja nicht nur dieser alte Kirschbaum, den sie in den letzten beiden Jahren abgeholzt hat. Sie wütet durch den geerbten Kirschgarten ihrer Eltern, als lägen ihr die schönen gesunden Bäume auf der Tasche. Dabei hat sie nur keine Lust, sich um den Kirschgarten zu kümmern. Verpachten oder verkaufen will sie ihn allerdings auch nicht. Das hat sie doch gar nicht nötig. Dass darunter die Natur leidet oder andere Menschen mit Freuden ihr die Last der Kirschen abnehmen würden, ficht sie nicht an. Der Kirschgarten ist und bleibt eingezäunt und wehe, Spaziergänger kämen ihren Kirschen zu nahe.
Der Kirschbaum ist tot, was bleibt ist Brennholz.
Von meinem alten Kirschbaum bleibt indes ein Haufen Totholz. Gottlob weiß die ignorante Nachbarin auch nicht, wie nützlich selbst aufgestapeltes totes Holz für die Natur ist, sonst hätte sie die toten Äste längst eingepackt und verfeuert. So wie sie es nach und nach mit all den anderen abgeholzten Bäumen macht. Rauf auf den Hänger und dann ab damit in den Ofen. Ein Drama.
Der abgeholzte Kirschbaum lebt trotzdem weiter.
Die Erinnerungen an die Zeit mit meinem alten Kirschbaum kann mir niemand nehmen. Auch nicht die Bilder und Fotoserien, die im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte von ihm entstanden sind. Egal ob als „Maibaum, mal anders„, überzuckert mit Eiskristallen oder zu Ostern im Schnee, verhüllt in Nebelschwaden oder völlig blattlos: Der alte Baum hatte ein reiches, erfülltes Leben mitten auf der großen wilden Blumenwiese auf der Südflanke des Lindelbergs. Er hat mein Leben ganz sicher bereichert und am Ende musste er sein Leben geben, weil eine dumme Millionenerbin es so wollte.
Das Leben geht weiter für alle, die in jedem Stück Natur das Gute und Schöne sehen.
Wie schön, dass auch andere beim Anblick des alten Kirschbaums pures Glück empfinden. Jetzt hat sich eine Kundin aus Detmold für das Landschaftsbild auf Leinwand „Maibaum, mal anders“ entschieden. Ich wünsche viel Freude an und mit meinem alten Kirschbaum, der bei diesem Motiv ganz besonders lebendig im Licht der frühen Morgenstunde funkelt und glitzert.